Freitag der 13. Ein Abschied.

Heute ist Freitag der 13. Ein guter Tag für das Rendezvous mit der Ewigkeit. Ein guter Tag um unsere Mama zu beerdigen. Ihr hätte dieses Datum gefallen.

Ihr Lebensweg begann am 30.08.1944 und endete am 22.11.2013. Die Zeit zwischen diesen beiden Eckpunkten war mit Stolpersteinen reichlich gepflastert. Das würde man als Außenstehender vermuten. Mama würde das verneinen. Sie hat nicht in solchen Kategorien gedacht. So wie Sie insgesamt als Mensch sehr schwer in Schubladen zu stecken war. 
Sie hat nach der Schule bei Villeroy & Boch gearbeitet und als ihr das zu langweilig wurde eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht. So richtig mit allem Pipapo mit Staatsexamen und etlichen Zusatzqualifikationen. Nach der Ausbildung hat Mama in Luxemburg gearbeitet.  
Unsere Mama hat sich gerne die Welt angesehen und sich des Lebens erfreut. Bei einem dieser Urlaube lernte sie unseren Vater kennen. Der Rest ist schnell erzählt: Schwanger mit mir, Heirat, Schwanger mit Michaela, Umzug von der einen auf die andere Straßenseite, dann später der Umzug nach Leichlingen, wieder ein paar Jahre später zog Mama knall auf fall aus und ging zurück ins Saarland, Scheidung, ein paar Jahre Haussklave bei Ihrer Schwester, dann wieder Einzug ins Elternhaus und Pflege ihrer Mutter bis zum Tode. Anschließend ging es dann in ihre erste eigene Wohnung nach Merzig. 
 Sie brauchte ihre vertraute Umgebung für die eigene Sicherheit. Und für die Erinnerung an Zeiten in denen sie gerne ewig gelebt hätte. Natürlich war die Entscheidung auszuziehen und die Kinder beim Vater zu lassen für niemanden nachvollziehbar. Natürlich hat Mama damit nicht nur ihr Leben radikal verändert. Und doch hat Sie es getan – und ihre Gründe gehabt. 
2003 holte ich Mama dann nach Dresden. Sie hat sich das vorher alles angesehen und für gut befunden. Ich glaube ihr hat ihre Wohnung und die greifbare Nähe zu mir gefallen – und gut getan. Und das wenigstens ein kleines Stück Erinnerung wieder mit Leben erfüllt wird. 
 Ihre Krankheit lag all die Jahre wie ein Schatten über ihrem und dem Leben von uns Kindern. Schizophrenie ist wie eine schwarze nebelige Kreatur die kommt und geht wie sie will und den Geist verdüstert. Natürlich hat die Krankheit Auswirkungen auf ihr Wesen gehabt. Oder besser gesagt: die medizinische Behandlung hatte starke Auswirkungen auf ihr Wesen. Aber man musste sich schon mit dem Menschen Monika Maria Rauchmaul auseinandersetzen um zu verstehen, dass die Krankheit nicht ihr Leben beherrschte. Es gab die Krankheit und es gab den Charakter Monika und beides überlappte sich an einigen Stellen – aber eben an vielen Stellen nicht. 
Vieles von dem was sie tat waren für sie selbst sehr bewusste Entscheidungen. Nur hat sie es nicht kommuniziert. Warum auch. Es hat ja niemand zugehört. 
Natürlich war sie nicht kooperativ wenn es um Entscheidungen ging die eine Einmischung in ihr Leben bedeutet haben. Warum sollte sie auch? Eben. Sie hat nicht mitgespielt und hat dafür immer die Konsequenzen getragen oder tragen müssen. Hat man Mama gefragt was sie will war die Antwort immer sehr deutlich: „Lasst mich in Ruhe“. 
 Kleingeistige Menschen haben Schwierigkeiten mit Menschen die sich nicht in Schubladen stecken lassen oder anders handeln als „normal“ wäre. Und was nicht „normal“ ist wird bekämpft.  
Das wusste Mama und hat daraus Konsequenzen gezogen, sie hat sich von der Welt abgewandt und sich in sich selbst zurückgezogen. Sie hat entschieden das die Welt ihr nichts mehr zu sagen hat und Mama hat dann nicht mehr zugehört. Die eigentliche Schwerhörigkeit kam erst viele Jahre später. 
 So war sie. Konsequent. Wenn Sie etwas nicht wollte dann führte auch kein Weg dahin. Sie hat ihre Schwierigkeiten mit der Welt und den für sie seltsamen Gepflogenheiten und Meinungen ihrer Mitmenschen. Sie brauchte die Welt einfach nicht.  
Für die Verbindung zur Außenwelt hatte Mama mich. Ihr Standardsatz war: „Das macht mein Sohn“. Mama nannte mich ihren Erzengel. Ich durfte alles, ich konnte alles, ich entschied alles, ich musste alles. 25 Jahre lang. Ich richte an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank an Frau ….. die Mutter (und auch mir) in den letzten Jahren als Betreuerin zur Seite stand. Frau Urban hat mir ermöglicht wieder das zu sein was ich mal war: Mutters Sohn. Danke. Vielen vielen Dank! 
 Mama mochte Musik. Ganz speziell Bruckners 4. Symphonie – von Ihrem persönlichem Musikheiligen Herbert von Karajan eingespielt. Sie mochte Richard Strauß, Udo Jürgens und die Kinder-Gesänge von Michaela und mir. Nie werde ich vergessen wie Mama und ich letztes Jahr während unserer letzten Spazierfahrt „Hoch auf dem gelben Wagen“ neu intoniert haben. Wir haben Tränen gelacht. 
 Hätte ich nur geahnt, das eine defekte Kassette 1985 für sie Grund genug sein wird nie wieder Musik zu hören – ich hätte wahrscheinlich alle verfügbaren Kassetten besorgt. Aber Mama hatte ihre Musik in sich. Wenn man genau hinhörte erkannte man ihren geliebten Bruckner. In Summ-Dur 😉 
 Bücher hatte sie schon lange nicht mehr gelesen. Das war auch nicht notwendig. Mama hatte ihre Bücher im Kopf. Vollständig und zitierfähig. Sie konnte ganze Passagen aus der Bibel, dem Koran und dem Talmud rezitieren. Siddharta von Herman Hesse war ihr Lieblingsbuch, daraus ihr oft wiederholtes Lieblingszitat:  
„Die meisten Menschen sind wie ein fallendes Blatt, das weht und dreht sich durch die Luft, und schwankt, und taumelt zu Boden. Andre aber, wenige, sind wie Sterne, die gehen eine feste Bahn, kein Wind erreicht sie, in sich selber haben sie ihr Gesetz und ihre Bahn.“ 
 Mama war ein kreativer Mensch. Sie hat mit uns Kindern in unserer gemeinsamen Zeit viel gemalt und gezeichnet. Sie hat sich Gedanken über das große Ganze gemacht und sehr kreative Ideen gehabt wie man das Elend der Welt beseitigen könnte. Hätte man mal auf die Mama gehört! 
 Ich werde Mamas Lächeln vermissen. Egal wie sehr sie mich manchmal zur Weißglut getrieben hat – ihr feines sanftes Lächeln hat mich immer wieder eingefangen. Nicht weniger vermissen werde ich ihren subtilen Humor. 
 Fast immer wenn ich mal wieder sehr augenscheinlich einige Kilos zugelegt habe kam dieser eine Satz „Du bist aber schlank geworden, das Hemd spannt ja gar nicht am Bauch“. Tja. Wo Sie Recht hatte…. 
Ich erinnere mich auch sehr gerne an einen Nachmittag wo ich erstmals eine knubbelige Hello-Kitty Figur auf Ihrem Sideboard gesehen hatte. Sie meinte nur „Schau hin, die Figur hat die gleichen Pausbacken wie deine Schwester“ und zwinkerte. Hier Schwesterchen, wenn ich dir dann dein Erbe überreichen darf. Sag Hello zu Kitty! 
Eine ihrer letzten Leidenschaften waren Blondinen-Witze. Eines Tages las Sie mir aus der Tageszeitung einen Witz vor und fand ihn selbst gar nicht lustig. Mir hat er auch nicht gefallen. Ich erhielt den Auftrag beim nächsten Besuch einen guten Witz mitzubringen. Das war dann ein Blondinenwitz. Der hatte es ihr angetan und daraus hat sich dann der wöchentliche Blondinenwitz entwickelt. Wir hatten viel Spaß damit. 
Die Mama war ein guter Mensch. Sie hat niemals über ihr Schicksal gejammert, selbst in den letzten Tagen als der Krebs ihr kaum noch Kraft zum Atmen lies sagte sie das es schon wieder viel besser ginge. Sie war da. Sie war sie selbst. Sie blieb sich immer treu. Sie war unbestechlich. Sie war unsere Mutter. Danke. 
 
– – – 
 
Zum Abschluss möchte ich dann noch 2 Wünsche der Mama erfüllen: 
 
Eine Blondine sagt zur anderen: „Du dieses Jahr ist Weihnachten an einem Freitag. Sagt die andere: „Hoffentlich nicht am 13.“ 
 
Der 2. Wunsch wird am Grab direkt erfüllt. Wenn die sie nicht in die Heimat kommt dann kommt die Heimaterde eben zu ihr ins Grab. Erde frisch aus dem Garten ihrer Großmutter unter dem Birnbaum hinter den Hühnerställen. 
 
Leb wohl! 

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